Resümee über ein Jahr Pandemie – Hat der Datenschutz 70.000 Todesfälle verursacht?
Veröffentlicht am:Pressemitteilung des Hessischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit vom 11.05.2021.
Professor. Dr. Alexander Roßnagel stellt in seinem Resümee nach einem Jahr Pandemie klar, dass der Datenschutz die effektive Bekämpfung der Pandemie nicht behindert, in Wirklichkeit erlaubt das Datenschutzrecht die Datenverarbeitung zur Pandemiebekämpfung.
In Wirklichkeit erlaubt das Datenschutzrecht die Datenverarbeitung zur Pandemiebekämpfung. Sie ist nach der Datenschutz-Grundverordnung zulässig, wenn sie erforderlich ist, um „lebenswichtige Interessen“ zu schützen. Als ein Beispiel für ein solches Interesse nennt die Datenschutz-Grundverordnung ausdrücklich die „Überwachung von Epidemien“. Wenn Impfen, Testen und Kontaktverfolgung nicht wie gewünscht funktionieren, ist dies also nicht die Schuld des Datenschutzes.
Datenschutz hat weder Todesfälle verursacht noch ist er in der Coronakrise als einziges Grundrecht ohne Einschränkung geblieben, wie Nida-Rümelin behauptet. Vielmehr haben die Datenschutzaufsichtsbehörden in dieser Sondersituation Fälle Flexibilität gezeigt, um Leben zu retten. Datenschutz steht daher der Bewältigung der Coronakrise nicht entgegen. Vielmehr unterstützt er sie. In einer westlichen Demokratie wie in Deutschland kann Pandemiebekämpfung nur erfolgreich sein, wenn die Bürgerinnen und Bürgern den Institutionen des Staates vertrauen. Ein zentraler Vertrauensfaktor ist der Datenschutz.
Wie war das Verhältnis von Datenschutz und Pandemiebekämpfung im ersten Jahr der Corona-Krise tatsächlich? Im ersten Lockdown haben viele Verantwortliche nach den nächstbesten digitalen Möglichkeiten gegriffen, um trotz Abstandsgebots das soziale und berufliche Leben aufrecht zu erhalten. Datenschutz stand da nicht im Vordergrund. Die Datenschutzbeauftragten konnten viele der angewendeten Videokonferenzsysteme und Homeoffice-Verfahren nicht gutheißen, haben sie aber bis heute geduldet, etwa um die Beschulung der Kinder auch in der Pandemie weiter zu ermöglichen.
Ein weiteres Beispiel für eine Einschränkung des Datenschutzes ist der Zwang, in Restaurants, Geschäften, Veranstaltungen und in Bussen seine Kontaktdaten hinterlegen zu müssen. Dieser tiefe Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung ist für die Kontaktnachverfolgung notwendig und wird vom Datenschutz konstruktiv begleitet. Das Gleiche gilt für die Apps, die jetzt zur Kontaktnachverfolgung anstatt der Papierlisten genutzt werden sollen. Dieser Digitalisierungsschritt wird trotz vieler Mängel vom Datenschutz unterstützt. Auch die Datenverarbeitung im Impftermin-Management hat die Datenschutzaufsicht trotz Defiziten nicht blockiert.
Die Zielsetzung der Corona-Warn-App entstammt nicht dem Datenschutz, sondern dem Wunsch der Gesundheitspolitik, neben den bestehenden Mitteln der Gesundheitsämter ein zusätzliches Instrument zu etablieren, Infektionen zu bekämpfen. Datenschutzüberlegungen kamen erst danach, als es darum ging, wie dies zu realisieren sei. Frankreich, Australien und Norwegen haben eine Lösung gewählt, die Daten der Infizierten zentral speichert – mit dem Ergebnis, dass diese Versuche am mangelnden Vertrauen der potenziellen Nutzenden gescheitert sind. In Deutschland hat der dezentrale Ansatz, der die Identifikationsdaten des Infizierten nicht preisgibt, Vertrauen erzeugt. Er hat zumindest dazu geführt, dass etwa 27 Millionen Menschen die App nutzen und über 300.000 Infizierte ihre Kontaktpersonen gewarnt und damit viele weitere Infektionen vermieden haben. Die Datenschutzaufsichtsbehörden unterstützen auch eine weitere Ausweitung der Funktionen der App.
Prof. Dr. Alexander Roßnagel hierzu: „Wir benötigen kein Zurückschrauben des Datenschutzrechts. Im Gegenteil – die Einschränkung des Grundrechts auf Datenschutz wäre kontraproduktiv. In der Krise hat der Datenschutz Flexibilität und Schutzwirkung gleichzeitig erwiesen.“
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